ELENAVANNONI

                         theatre

 

frag-mente infernali

frei nach La Divina Mimesis (Barbarische Erinnerungen)

von Pier Paolo Pasolini  

     100° Festival al Sophiensaele Berlino 2007

Ist es nur eine stumme/wortlose Stimme in diesen geschäftigen Zeiten? So fragt sich Pasolini, wie die Rolle des Künstlers und Intellektuellen heute aussieht. Der Dichter durchläuft seine Hölle, unsere Hölle, wie es vor ihm Dante getan hat, vielleicht um den Sinn der Verkehrung der Werte unserer Zeit zu erforschen, in der der Schein und die Schnelllebigkeit lebenswichtig geworden sind. Eine neokapitalistische und konsumistische Hölle, wo der Widerstand schwankt und die Flucht immer mehr zur einzigen Möglichkeit wird.

Anmerkungen zum Autor und seinem Text


Pier Paolo Pasolini, Regisseur, Schriftsteller, einer der größten und gleichzeitig umstrittensten italienischen Intellektuellen der Nachkriegsgeschichte, vielleicht Prophet, aber vor allem Dichter. Unter seinen vielseitigen Werken zwischen Film und Lyrik habe ich vor einigen Jahren eine kleine Perle entdeckt – von der Pasolini-Kritik bisher kaum beachtet- welche er kurz vor seinem Tod bzw. seiner Ermordung im Jahre 1975 geschrieben hat.

Es handelt sich um die Divinia Mimesis, in Deutschland unter dem Titel Barbarische Erinnerungen veröffentlicht, die aus einer Sammlung von scheinbar unzusammenhängenden Fragmenten, Notizen, vergilbten Schwarz-Weißfotographien besteht. Auf den Spuren von Dantes Divinia Commedia führt uns Pasolini in seine eigene Hölle des Neo-Kapitalismus, in der die Sünden der Verdammten sich aus der Anonymität und dem Konformismus herleiten, die ihr Dasein bestimmen.

Alles beginnt mit einer Autofahrt durch die geliebten Straßen Roms, die zu einem Fest der Partei führt. Aber schon am Eingang des Kinos Splendid, wo das Fest stattfindet, fühlt der Autor einen Stich durchs Herz, eine unglaublich starke Beklemmung. Das alte Licht der Wahrheit, als man noch für eine Idee oder einen Glauben gestorben ist, existiert nicht mehr. Alles ist verblichen und eingestaubt, alles ist vorbei. Und die Welt da draußen, die der neuen Werte, wartet nur darauf einzutreten. So geschieht es nun mit dieser nostalgischen Versammlung in dem halboffenen Rund des Kinos Splendid.

Und die Vernunft beginnt zu schwanken: der Pasolini-Dante erreicht einen Traum außerhalb der Vernunft. In einem dunklen Tal erblickt er am Gipfel eines Hügels das Licht der alten wiederaufgegangenen Sonne, und wie ein Kind, das kein Zuhause mehr hat, wie ein verlorener Soldat klettert er den Abhang hinauf.

Aber er ist nicht allein: sein einsamer und mutloser Aufstieg wird durch das Auftauchen des Panthers, des Löwen und der Wölfin aufgehalten, in ihnen erkennt der Pasolini-Dante die Verkörperung seiner eigenen Laster wieder.

Und am Ende taucht noch eine andere Figur auf, in der er sich wieder erkennt, vom Schweigen zur unscheinbaren Figur verblasst: der Pasolini-Virgilio. Eine Spaltung die den Pasolini-Dante enttäuscht: unter diesen Umständen könnte ihm eine bessere Begegnung passieren, oder wenigstens eine romantischere. Und er fügt hinzu, dass es in dieser, seiner Welt klar sei, obwohl sie so armselig, dörflich, zurückhaltend sei, keinen anderen Führer finden zu können, als diesen.

Die beiden bereiten sich darauf vor, die ersten Sünder zu treffen, die es nicht einmal wert sind die Türen der Hölle zu durchschreiten: diejenigen, die als ihr eigenes Ideal eine übrigens unvermeidbare Lage gewählt haben: die Anonymität. Die Fatalität, der Ruhm, die Verurteilung „jederman“ zu sein.

Die Relevanz der Divinia Mimesis begegnet uns jeden Tag aufs Neue: Personen ohne eigene Identität, verloren zwischen polyphonen Handys, den Bildern von Illustrierten und den Labels ihrer Kleidung.

Auch vor den Körpern macht die Kommodifizierung des eigenen Selbst nicht halt; Brüste und Nasen werden austauschbar, zu Marken ihrer Träger(innen).

Nach dieser Art von Vorhölle, wo das Anonyme mit dem Ignavia austauschbar ist, befinden wir uns sozusagen im äußersten Höllenkreis, d.h. im Limbus.

Im IV Gesang von Pasolini ist es nicht ein Fehler nicht getauft zu sein, wie bei Dante, sondern ein Konformist zu sein: „Unseren innersten Konformismus bekämpfen wir nur gelegentlich und mit Trägheit. (...)Wir hassen den Konformismus der anderen, weil uns das von der Beschäftigung mit dem unseren abhält. Jeder von uns hasst im anderen, wie in einem Konzentrationslager, das eigene Schicksal. Wir ertragen es nicht, dass die anderen ein Leben und Gewohnheiten unter einem anderen Himmel haben.“ Und er fügt hinzu: „Deshalb war Hitler unser wahrer, absoluter Held.(...)Hitler unser entsetzlicher Held, Inkarnation der unglücklichen Jungen, die den Klang der Glocken hinter den Maisfeldern oder die Sirenen am Ende mit Blick auf den kommunalen Säulengang hätten anhalten wollen – damit das schlafende Kleinbürgertum erwache (...).“ Die Söhne des Bürgertums, die ihre eigenen Väter und die Werte, die das Bürgertum repräsentierte, abgelehnt haben, finden sich zusammen einen „Hitler“ zu wählen: „Hitler war die Frucht ihrer Dichtersöhne (...).“Und tatsächlich befinden sie sich jetzt im Dichtergarten.

In diesem Text widmet sich Pasolini dem Problem der künstlerischen Schöpfung. Im Garten der Dichter erscheint Rimbaud, der in seinem Leben die eigene Poesie verleugnet und sich künstlerisch kastriert hat. Dadurch ist er in der Lage, das Problem zu erkennen, um das sich im Kern der ganze Text dreht bzw. auf dem er gründet: die Mutter. Paolini-Dante erkennt: „ Die Mutter ist demnach die Königin der Hölle.“ Rimbauds Worte ist diese Erkenntnis zu verdanken. Die Mutter wird als die Schöpfung verstanden.


Inszenierung


Im Rahmen des 100° Festivals in den Sophiensaelen in Berlin wurde am 3.2.2007 eine Arbeitsfassung aufgeführt.


In der dantesken Hölle trifft der große Dichter, „ In der Mitte unsrer Lebensreise“, denjenigen der sein Führer sein wird, den er für den größten aller Dichter gehalten hat: Virgilio. In der Divinia Mimesis begegnet Pasolini-Dante dem Pasolini-Virgilio. Die Notwendigkeit dieser Begegnung resultiert aus einem Moment der Krise, die Pasolini dazu bringt sich und sein dichterisches Alter Ego wiederzufinden.

Alles beginnt ganz einfach: ein Festtag vielleicht, ein Frühlingstag und ein Treffen in der Parteizentrale der Kommunisten,  in dem einst so geliebten und jetzt gefühlsmäßig so entfernten Kino Splendid.

Der Eingang strahlt im Gegensatz zum alten Inneren des Kinos, das so verstaubt ist und nach Naphtalin riecht, dass es das Herz beklommen macht. Auf dem Fest der Partei sind die alten müden Mitglieder, die nichts mehr zu sagen haben. Daher kommt die Inszenierungidee sie durch lebensgroße Gliederpuppen zu ersetzen.

Es sind auch die jungen, gerade beigetretenen Arbeiter anwesend, in ihrer bunten, der Mode entsprechenden Kleidung: Rot, Gelb, Orange, der totale Kontrast zu den alten, dunklen, verstaubten Gliederpuppen.

Es gibt nur ein einziges Licht: das Licht der alten Wahrheit, das der Partisanen, all derjenigen, die ihr Leben für eine Idee aufs Spiel gesetzt haben. Diese Idee wird auf der Bühne in der Form eines erhöhten Podests dargestellt, wo sich die Musik befindet und das durch natürliches Licht erhellt wird: eine Sängerin und eine Akkordeonspielerin begleiten

leitmotivisch das szenische Spiel. Ein einziges Volkslied wird in verschiedenen Variationen wiederholt: Bella Ciao ( ursprünglich kommt es von den Reisfeldarbeiterinnen, dann wurde es zum Lied der Partisanen und allmählich der sogenannten Linken).

Die erste Szene beginnt in dem Kino Splendid, es besteht aus 6 Teilelementen, die im ersten Bild zu der Eingangstür zusammengebaut werden;

8 Stühle: drei für die Puppen, drei für die Jungen, einen für den Senator, einen für Pasolini;

am Ende das Podest für die „alte Wahrheit“ mit der Musik.

Pasolini befindet sich draußen, im Publikum, in der Welt. Die Welt, zu der er sich nicht mehr zugehörig fühlt.

Der Dichter tritt stumm auf, hört den stillen Applaus, der den Pasolini-Dante in den Ort hinein gleiten lässt, der kein anderer als unsere Welt selbst ist: die Hölle.

Die Begegnung mit den drei Bestien, in denen er die Verkörperung seiner eigenen Laster erkennt.

Die Begegnung mit dem Pasolini-Virgilio, der ihn zynisch und naiv zugleich zu seinem vergessenen Selbst führt.

Am Ende die Begegnung mit Rimbaud im Dichtergarten.

Auf der Bühne wird der Dichtergarten von einer Junggesellenmaschine dargestellt, die dazu bestimmt ist zu implodieren, denn die Kunst ist keine Ware zum konsumieren. Das heißt, man unterwirft sich dem Gesetz oder man verschwindet.

Der geliebte Rimbaud wird von Pasolini-Dante, wie in der Pietas Jesus Christus, gehalten.  Hinter seine drücken werden die Gliederpuppen gekreuzigt: heute ist das Leben so wenig wert, dass wir nur Menschen töten, die schon eigentlich lebendig tot sind.

Regie: Elena Vannoni

Mitarbeit - Roberto Mantovani

Dramaturgin: Bettina Jänisch

Mit

Pasolini-Virgilio Roberto Mantovani

Pasolini-Dante Chiara Visca

Andrea Schwemmer

Jessica Tietsche

Stefan Liebermann


Musik:

Javier Tucat Moreno

Anahi Setton

Photo: Silvano Mangnone

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